Talitha Kumi! Internationales VEM-Bibelcamp in Botswana

„Talitha Kumi! Kleines Mädchen, steh auf!“, lautete das Motto des diesjährigen internationalen Bibelcamps in Botswana, organisiert von der Vereinten Evangelischen Mission (VEM). Wir taten wie uns befohlen, Mädchen wie Jungen oder doch eher junge Frauen wie junge Männer aus ganz Deutschland, aber auch aus Namibia, Südafrika, Kamerun, Tansania und schlussendlich aus Botswana selbst und machten uns auf die lange Reise in den Süden Afrikas. Im Bibelcamp treffen sich junge Christinnen und Christen aus allen VEM-Mitgliedsländern, um gemeinsam ihren Glauben zu leben, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu entdecken, andere Kulturen und Glaubenskonzepte kennenzulernen und an gemeinsamen Fragen zu arbeiten. Es gibt eine Gruppe von 150 Teilnehmern aus dem Gastgeberland und eine kleinere internationale Gruppe, die auch für die Mitgestaltung des Camps verantwortlich ist. Als Entsandte der reformierten Landeskirche als Mitgliedskirche der VEM durfte ich, Svenja, eine der zwölf deutschen Auserwählten sein, die an dem viertägigen Bibelcamp und dem 10-tägigen Vorprogramm teilnahmen. Das Vorprogramm richtete sich an das internationale Team. Was uns hier erwartete, wurde auch uns erst nach und nach während der Zeit in Botswana offenbart, aber Worte wie „Gastfamilien“ oder „Gemeindebesuche“ bahnten sich bereits vor der Reise ihren Weg über die Kontinente zu uns nach Deutschland, so dass wir doch eine leise Ahnung davon bekamen, worauf wir uns einzustellen hatten.

Über den Wolken… und dann in Afrika
Am 6.3.2013 ging die Reise also los. Mein Flug ging ab Düsseldorf und dort traf ich auch schon auf zwei weitere deutsche Teilnehmer des Camps. Über Dubai und Johannesburg wollten wir innerhalb von 22 Stunden nach Gaborone, der Hauptstadt Botswanas, fliegen. Als ganz so unkompliziert stellte sich dieses Unterfangen jedoch nicht heraus und meine beiden Mitreisenden verpassten unseren Anschlussflug in Johannesburg, so dass ich als Einzige von uns dreien, allerdings ohne Gepäck, planmäßig in Gaborone ankam - bei drei Personen und drei Gepäckstücken ein Schnitt von einem Sechstel - immerhin… Allzu sehr ließ ich mich jedoch nicht verunsichern - die drückende afrikanische Hitze dämpfte meine Sinne und leistete ihren Beitrag zur sich nahezu automatisch einstellenden Gelassenheit. Ganz unschuldig an meiner Gelassenheit war aber wohl auch nicht der Südafrikaner, dem ich bereits im Flugzeug begegnet war und der mit einer Selbstverständlichkeit und Ruhe sowohl auf mich wartete, während ich den Papierkram wegen meines verschwundenen Gepäcks ausfüllte, als auch mir mit seinem Handy aushalf, um den Verantwortlichen des Camps anzurufen und dann auch noch eine Stunde Wartezeit auf sich nahm, bis ich letztendlich abgeholt wurde. Allein wäre ich doch recht hilflos gewesen und diese erste Begegnung stimmte mich bereits äußerst positiv.

Affen im Woodpecker

Die Affen rasen durch den Wald – ääh - Woodpecker
Nach der ersten Nacht im Camp, das sich auf einem Gelände namens „Woodpecker“ befand, und einem ersten Kennenlernen der anderen deutschen Teilnehmer und des Leitungsteams wurden wir am Morgen von den herumstreunenden Affen geweckt, die gerne ihre Köpfe durch halboffene Fenster steckten und wenn man nicht achtsam war, auch gerne ganze Zimmer plünderten, um die Essensreste nach dem Essen dann über das ganze Gelände zu verteilen. Mit anfänglicher Unsicherheit durften wir uns gleich zu Anfang an afrikanische oder - nicht pauschalisierend - an in diesem Fall botswanische Organisation und die „African Time“ gewöhnen. Denn zunächst passierte gar nichts. Auch unsere größten Fragen nach  den Workshops für das eigentliche Camp, die wir in irgendeiner Form mitgestalten, leiten oder betreuen sollten, von denen aber keiner genau wusste, wie diese aussehen sollten, wurden auf die nächste Woche auf den Tag vor dem Camp vertagt. So viel Zeit solle reichen und wir sollten uns entspannen. Was sich aber langsam herauskristallisierte, war, dass wir am Wochenende für vier Tage in verschiedenen Gastfamilien verschiedener Dörfer unterkommen sollten.  Und nachdem auch die belebenden namibianischen Teilnehmer angekommen waren, geschah uns auch so.

Die Namibianerin Winny, ich und Gastschwester Lollo im Van

Zu Gast in Gabane
Die Zeit in der Gastfamilie war für mich eine wichtige Erfahrung. Gemeinsam mit der Namibianerin Winny kam ich in einer Gastfamilie in einem Dorf namens Gabane (das „G“ spricht man hier übrigens wie „Ch“ aus) unter. Entgegen meiner Erwartung war die Begrüßung jedoch zunächst nicht besonders herzlich, doch eher reserviert bis desinteressiert, und die Familienstruktur durchblickte ich ganz und gar nicht. Die einzige Person, die wir irgendwie einordnen konnten, war Lolo, unsere Gastschwester, die uns das Haus zeigte. Auch fühlte ich mich anfangs ein wenig ignoriert und hatte das Gefühl, dass wenn, dann nur mit Winny kommuniziert wurde. Dieses unheimliche anfängliche Gefühl von Fremdheit und Unsicherheit werde ich nicht vergessen. Ich war mir zunächst sogar so unsicher, dass ich mich kaum setzen mochte, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Froh war ich über die forsche Winny, die der botswanischen Kultur ja doch näher stand als ich selbst und an der ich mich orientieren und die ich im Zweifelsfall fragen konnte. Nach der ersten Orientierungslosigkeit und Unklarheiten über den weiteren Verlauf des Tages inklusive der Einnahme der Mahlzeiten nahm der Tag aber gegen Abend doch eine positive Wendung. Gemeinsam mit unserer Gastschwester, ihrem Bruder und Cousin fuhren wir auf offener Ladefläche eines Vans in Richtung Familienfarm, wo sich sämtliche Tanten und endlich auch die Gastmutter aufhielten und den dort stattfindenden Grillabend zu meiner Überraschung und Irritation doch relativ feucht-fröhlich gestalteten (kannte ich doch nur die deutlich kritische Haltung gegenüber Alkohol aus dem CAP-Camp in Ruanda, das im vergangenen Jahr stattgefunden hatte). Ich habe aber festgestellt, dass es in einem fremden Land deutlich leichter fällt, mit eindeutigen Wertevorstellungen umzugehen, die einem klare, mehr oder weniger flächendeckend anerkannte Regeln vorgeben als mit einer sehr diffusen Meinung und irgendwie auch Doppelmoral. So war die Einstellung in Botswana schon eindeutig so, dass man als Christ nicht unbedingt trinken sollte, auf der anderen Seite wurde aber auch nicht so viel Wert darauf gelegt, sich daran zu halten. Als Gast muss man also sehr aufmerksam sein, wie die Haltung der Menschen, mit denen man sich umgibt, denn genau ist, um sich nicht in den Augen der Gastgeber unmöglich zu verhalten. Der Abend auf der Farm war dennoch wunderbar. Fröhlich, stimmungsvoll und mit jeder Menge Gesang und Tanz. Ganz so wie man sich das als Deutscher eben vorstellt. Die Atmosphäre lockerte sich und nach diesem Abend fühlte ich mich deutlich wohler in der Gastfamilie.

Familiengrillen auf der Farm

Die nächsten Tage waren geprägt von einem Wechselspiel aus Spontaneität und Geduld. An mangelnder Information über den weiteren Verlauf eines Tages seitens aller Beteiligter durfte man nicht verzweifeln und langsam gewöhnten wir uns daran, einfach auf das Leuten einer Glocke zum nächsten Programmpunkt zu warten anstatt uns auf irgendwelche Zeitangaben zu verlassen. In Gabane verbrachten wir vor allem Zeit im kirchlichen Kindergarten für Kinder finanziell schwacher Familien, die wir sehr genossen. Außerdem besuchten wir gemeinsam mit einigen Jugendlichen der Gemeinde nach dem sonntäglichen Gottesdienst die Alten und Kranken der Gemeinde, um mit ihnen gemeinsam zu beten und zu singen, was ich als sehr schön und vorbildlich empfunden habe.

"Komm rein, es ist noch Platz"-Autofahrt im Kofferraum

Zurück im Woodpecker
Nach vier Tagen in der Gastfamilie in Gabane und einiger Verärgerungen nicht nur seitens der Deutschen wegen mangelnder Information und chaotischer Organisation (es kam teilweise zu Wartezeiten in Unwissenheit von 12 Stunden) kamen wir zurück ins „Woodpecker“. Die Verärgerung setzte sich auch hier zunächst fort, als am Vormittag des Beginns des eigentlichen Camps endlich das Thema „Workshops“ zur Sprache kam. Hier prallten einfach unterschiedliche Vorstellungen aufeinander: Wir Deutschen, die der Meinung waren, dass ein Workshop, mit dem wir zufrieden sind, nicht in einer halben Stunde aus dem Ärmel zu schütteln sei und die in diesem Fall eher botswanische (nicht afrikanische) Vorstellung, dass es vor allem auf die nun einmal spontan erzeugte Stimmung ankäme. Aber die zwischenzeitlich gereizte Atmosphäre wurde nicht Herr über das Camp, auch nicht als das eigentliche Bibelcamp startete, 150 weitere Jugendliche eintrafen, sich ob Platzmangels Matratzen geteilt werden mussten und sich auch bei der Menge des Essens nicht nur einmal zu unseren Ungunsten verkalkuliert wurde. Denn wichtiger sind vor allem rückblickend ganz andere Dinge.

Sei es das stimmungsvolle Tanzen zu schwungvoll geschlagenen und beeindruckend aussehenden Marimbas, das Gefühl von Freiheit während der Fahrt auf der Ladefläche eines offenen Pick-Ups oder auf der anderen Seite das genauso beklemmende wie gemeinschaftliche Gefühl von Enge bei neun Personen und drei Koffern im Kofferraum eines Autos, das die Stimmung steigen lässt und zum Singen verleitet. Seien es atemberaubende Sonnenuntergänge und Nächte mit so vielen Sternen am Himmel wie man es sich hier kaum vorstellen kann oder die Erzieherinnen im Kindergarten, die mit solchem Elan „Fischer, Fischer, wie tief ist das Wasser?“ spielen, dass sie manchmal selbst beim Rennen hinfallen und sich vor Lachen kaum halten können. Sei es der große Spaß bei einer Rallye über das gesamte Camp, die doch sehr fruchtbaren Workshops oder eine Talentshow zum Abschluss des Camps, die so bunt und vielseitig wohl nur in Afrika sein kann. Sei es stimmungsvolles Lobpreisen mit Trommel und Tanz oder andächtiges gemeinsames Zur-Ruhe-Kommen im Taizé-Gebet. Oder ganz einfach die vielen schönen Begegnungen, die auch über das Bibelcamp hinaus wirken.
Die schwierigen, ärgerlichen, irritierenden, verwirrenden oder befremdlichen Momente bleiben im Kopf und arbeiten dort weiter, sie lassen mich reflektieren, nach- und weiterdenken, im Glauben wie im weltlichen Denken. Die guten, fröhlichen, verbindenden, aufmunternden und erweichenden Momente bleiben im Vordergrund und im Herzen. Beides ist ebenso wichtig wie fruchtbar und macht internationale Begegnungen wie diese so wertvoll, so dass wir nach dem Camp auch zurück in Deutschland hoffentlich nicht müde werden zu sagen: „Talitha Kumi! Kleines Mädchen, steh auf!“

Svenja Nordholt

Marimbas