Bundespräsident begrüßt reformierte Weltgemeinschaft

Steinmeier: Das Wichtigste ist und bleibt, das ist meine tiefe Überzeugung als evangelischer Christ und als Angehöriger einer reformierten Kirche: Lob und Dank zu sagen dem Schöpfer, der es gut mit uns meint.

(epd. 30.6.17). "Gerade in einer Zeit, in der Religion häufig genug missbraucht wird, zur Abschottung und Distanzierung, als Vorwand für schlimmste Gewalttaten", sollten die reformierten Kirchen den friedlichen Dialog fördern, sagte Steinmeier am Freitag vor den Delegierten in der Leipziger Nikolaikirche.

Die Kirchen müssten "die friedens- und versöhnungsstiftende Kraft von Religion ganz bewusst herausstellen" und vor allem auch selbst vorleben, unterstrich Steinmeier. Zur offiziellen Eröffnung hatte die Generalversammlung einen Willkommensgottesdienst in der Nikolaikirche gefeiert.

Steinmeier sagte mit Blick auf die zahlreichen Konfessionen, das christliche Zeugnis werde in der heutigen Welt immer weniger glaubwürdig, wenn es mit so unterschiedlichen Stimmen spreche. Daher begrüße er es, wenn sich die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen in Leipzig der Gemeinsamen Erklärung des Lutherischen Weltbundes und der römisch-katholischen Kirche über die Rechtfertigungslehre anschließe.

Zugleich rief der Bundespräsident dazu auf, Stellung zu beziehen, wo Menschen wegen ihres Glaubens und wegen ihres Bekenntnisses verfolgt würden. Dies treffe Menschen vieler Konfessionen, aber es treffe mit neuer Härte gerade auch Christen im Nahen Osten. Steinmeier betonte: "Die Freiheit des Glaubens ist unveräußerliches Menschenrecht."

Die Predigt in der Nikolaikirche hielt der Präsident der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen, Jerry Pillay. Er erinnerte an den besonderen Ort und die Rolle der Nikolaikirche in der Zeit der friedlichen Revolution in der DDR. Er sagte, die Kirche brauche Erneuerung in ihren ökumenischen Partnerschaften und ihrem interreligiösen Engagement, um die Herausforderungen in der Welt gemeinsam anzugehen. Die Kirchen seien manchmal zu beschäftigt mit den Schattenseiten und verpassten es, das Wesentliche des Glaubens anzunehmen und zu reflektieren.

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Die Ansprache von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 30. Juni 2017 in der Nikolaikirche Leipzig im Wortlaut:

"Ich freue mich sehr, Sie alle hier in Leipzig begrüßen zu dürfen. Eine Generalversammlung der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen ist ja eine besondere Angelegenheit, die nicht allzu häufig stattfindet – und dass Sie zuletzt in Deutschland getagt haben, das ist schon eine ganze Weile her.

Im Jahr des großen Jubiläums der Reformation nun sind Sie hier zusammengekommen – hier, in dem Land, von dem aus die Reformation ihren allerersten Anfang genommen hat. Aber wirklich nur den allerersten, denn wie schnell wurden dann auch schon die reformierten Bekenntnisse in anderen Ländern Europas artikuliert, in der Schweiz, in Holland, in Schottland und anderswo. Martin Luther selber hat seine Hauptwirkung zunächst im deutschsprachigen Raum entfaltet. Zu einer mächtigen europäischen Bewegung ist die Reformation vor allem durch Zwingli und Calvin geworden. Die reformierten Kirchen sind von Anfang an eine machtvolle internationale Bewegung gewesen; und so entspricht es ihren Anfängen, wenn die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen heutzutage auch Weltgegenden repräsentiert, von denen man zu Luthers, Calvins oder Zwinglis Zeiten höchstens eine ganz blasse oder auch überhaupt keine Ahnung hatte.

In der Tat: Weltweit ist das Christentum lebendig. Aber weltweit ist es auch in Konfessionen unterschieden. Das christliche Zeugnis wird in der heutigen Welt aber immer weniger glaubwürdig, wenn es mit so unterschiedlichen Stimmen spricht. Ich kann es deswegen nur begrüßen, wenn sich die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen auf dieser Tagung hier in Leipzig der Gemeinsamen Erklärung des Lutherischen Weltbundes und der Römisch-katholischen Kirche über die Rechtfertigungslehre anschließt. Das ist ein wesentlicher Schritt zur Ökumene aller christlichen Bekenntnisse.

Sie haben sich hier in Leipzig versammelt und wir haben den Gottesdienst hier in der Nikolaikirche gefeiert. Diese Kirche hat in ihrer Geschichte viele bedeutende Stunden erlebt – wir Deutschen von heute haben vor allem lebendig im Gedächtnis, was 1989 von hier ausgegangen ist. Die Friedliche Revolution wäre ohne die Friedensgebete in der Nikolaikirche und das, was sie dann auf den Straßen Leipzigs in Bewegung gesetzt haben, anders verlaufen.

Evangelischer, reformatorischer Glaube, der in dieser Kirche lebendig war, dieser Glaube hat damals Suchenden ein Obdach gegeben, Zweifelnden Mut gemacht, Verzagten Hoffnung gegeben. Hier haben Menschen den Mut gefunden, gegen Unterdrückung und Lüge aufzustehen. Hier haben Menschen die Freiheit erfahren, die zum aufrechten Gang ermächtigt. Ja, die Freiheit! Sie ist vielleicht die schönste Frucht reformatorischen Glaubens. Die religiöse Freiheit, die Freiheit des Gewissens und dann auch die politische Freiheit und die politische Selbstbestimmung.

In vielen Ländern der Welt kann man von der Freiheit, die 1989, gerade auch hier von Leipzig aus, für ganz Deutschland und für ganz Europa erkämpft worden ist, nur träumen. Wir sollten mit klarer Stimme Stellung beziehen: Als Deutsche und als Europäer ist und bleibt es unser Ziel, dass sie auch dort Wirklichkeit wird, wo noch immer oder wieder neu Zensur, Unterdrückung und Missachtung der fundamentalen Menschenrechte herrschen.

Stellung beziehen sollten wir auch dort, wo Menschen wegen ihres Glaubens, wegen ihres Bekenntnisses verfolgt werden. Das trifft Menschen vieler Konfessionen, aber es trifft mit neuer Härte gerade auch Christen im Nahen Osten. Unsere Aufmerksamkeit dafür kann nicht jedes Unrecht aufhalten. Aber wir können und wir müssen die Einschüchterung oder schlimmer die Gewalt als Unrecht benennen! Die Freiheit des Glaubens ist unveräußerliches Menschenrecht!

Die andere große Kirche Leipzigs, die Thomaskirche, steht für ein anderes kostbares Erbe der Reformation. Für die Schönheit des Glaubens, für die Innerlichkeit, mit der er unsere Herzen bewegt und immer wieder unsere Seele erhebt und tröstet. Schönheit und Innerlichkeit, Trost und Heiterkeit des Glaubens haben, man kann das wohl so entschieden sagen, nirgendwo einen so unübertroffenen Ausdruck gefunden wie in der Musik Johann Sebastian Bachs. Hier in Leipzig sind seine großen geistlichen Werke, die Kantaten und Passionen, uraufgeführt worden. Eine Kostprobe davon haben wir gerade gehört. Nein, der evangelische Glaube ist nicht unsinnlich oder nüchtern. Er kennt auch die großen Aufschwünge von Herz und Seele, den Glauben "aus Freude an Gott", wie Eberhard Jüngel sagt. Bach in Leipzig ist unser Zeuge.

Ihre Tagung wird manche politischen und gesellschaftlichen Fragen erörtern und manche wichtigen kirchenpolitischen Entscheidungen treffen. Ein Auftrag aber scheint mir klar zu sein: Gerade in einer Zeit, in der Religion häufig genug missbraucht wird zur Abschottung und Distanzierung, ja als Vorwand für schlimmste Gewalttaten – gerade in dieser Zeit also müssen reformierte Kirchen besonders darum bemüht sein, den friedlichen Dialog zu fördern, ja, die friedens- und versöhnungsstiftende Kraft von Religion ganz bewusst herauszustellen und vor allem: selbst vorzuleben. Für all das wünsche ich Ihnen ein gutes Gelingen – zum Wohle der Kirchen und der Menschen, für die sie wirken.

Das Wichtigste aber haben wir gerade bereits gemeinsam getan: nämlich miteinander gebetet, gesungen und Gottesdienst gefeiert. Was immer wir innerhalb der Kirchen sonst noch tun, was immer wir als Christen politisch, ökonomisch oder ökologisch vornehmen: Das Wichtigste ist und bleibt, das ist meine tiefe Überzeugung als evangelischer Christ und als Angehöriger einer reformierten Kirche: Lob und Dank zu sagen dem Schöpfer, der es gut mit uns meint. Und ihm vertrauensvoll unsere Bitten zu sagen, wie zum Beispiel mit dem Lied, das wir gerade eben gesungen haben:

"Be our light in the darkness of this age,
be the path we can follow with hope and faith, (…)
Be our door to a graceful and better world,
be a table with space for young and old,
Be the bread and the wine for an open feast,
come and lead us to justice and peace!"

Herzlichen Dank, thank you very much!"

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