Johannes Calvin: Reformator der Kirche
Johannes Calvin wird am 10. Juli 1509 in Noyon (ca. 100 km nördlich von Paris) unter dem Namen Jean Cauvin geboren. Sein Vater, zunächst Jurist am Domkapitular in Noyon, sorgt für eine gute Schulausbildung seines Sohnes in Paris. Das zunächst in Aussicht genommene Berufsziel "Pfarrer" ändert sich nach Schwierigkeiten seines Vaters mit dem Klerus: Calvin studiert ab 1528 Jura, zunächst in Orleans, dann in Bourges. Nach dem Tode seines Vaters lebt Calvin in Paris und betreibt neben den juristischen auch literarische Studien. Mit seinem 1532 erschienenen Kommentar zu Senecas "De clementia" (Über die Milde) reiht er sich in die führende Humanistenriege Frankreichs ein.
Irgendwann vor dem Mai 1534 erlebt Calvin eine plötzliche Hinwendung zum Evangelium; im Herbst 1534 ist Calvin als bekennender und praktizierender Lutheraner, wie die Evangelischen in Frankreich zunächst genannt wurden, bekannt. Und er muss im Zusammenhang mit der sogenannten Plakataffäre, in der öffentlich gegen die Messe protestiert wird, aus Paris fliehen. Sein Aufenthaltsort wird Basel; dort erarbeitet er für die Evangelischen in Frankreich einen Katechismus, der 1536 gedruckt vorliegt.
Auf einer Reise zu seinen Geschwistern kommt er durch Genf und wird vom dortigen Reformator Wilhelm Farel aufgehalten und eindringlich gebeten, beim Aufbau der Reformation in Genf mitzuhelfen. Nach einigem Zögern willigt Calvin ein. Seine Tätigkeit ist zunächst die Bibelauslegung, dann auch die Predigt und die Mithilfe bei der Organisation der Genfer Kirche. 1537 macht Calvin einige Reformvorschläge, die dem Rat der Stadt aber zu weit gehen. Er führt den Psalmengesang und den katechetischen Unterricht ein und schreibt einen (an Luthers Kleinen Katechismus angelehnten) ersten Genfer Katechismus. Aber er fordert auch alle Einwohner Genfs auf, sich per Unterschrift zur Reformation zu bekennen.
In Genf wachsen vor allem deshalb die Spannungen zwischen den Altgläubigen und den reformatorisch Gesonnenen. Bei Wahlen 1538 siegen die Reformgegner. Der Widerstand gegen Calvin wächst, und nach einigem Hin und Her werden Calvin und Farel Ostern 1538 ihres Amtes enthoben und aus Genf verwiesen, weil sie Ostern gepredigt hatten, obwohl ihnen das der Rat der Stadt verboten hatte. Calvin zieht nach Straßburg und wird Pastor der französischen Flüchtlingsgemeinde, lehrt aber an der theologischen Hochschule Bibelauslegung. Straßburg war mit den Reformatoren Martin Bucer und Wolfgang Capito eins der bedeutendsten Zentren des deutschen Protestantismus und war trotz des Anschlusses an die Wittenberger Reformation 1536 selbständig geblieben. Neben der Betreuung der Gemeinde und der Bibelauslegung erarbeitet Calvin eine Neuausgabe der Institutio, seines Unterrichts in der christlichen Religion: Ursprünglich ein Katechismus, jetzt ein eigenständiges Lehrbuch der Dogmatik. Auch nimmt er an mehreren Religionsgesprächen teil.
Ab 1539 entsteht zwischen Calvin und Philipp Melanchthon; dem Freund und Kollegen Luthers, eine Freundschaft. Calvin erhält in Straßburg das Bürgerrecht und heiratet auch dort Idelette de Bure. Seine Frau stirbt 1549; der einzige Sohn beider stirbt kurz nach seiner Geburt. Das kirchliche und gesellschaftliche Leben in Genf war unterdes in Unordnung geraten. Und so wird Calvin vom Rat gebeten, zurückzukommen. Nach einigem Zögern nimmt Calvin an und geht, wie er annimmt, für ein halbes Jahr nach Genf; tatsächlich wird er sein ganzes weiteres Leben dort verbringen. 1541 hält Calvin in Genf seine erste Predigt und knüpft nahtlos an 1538 an: er nimmt den der letzten Predigt folgenden Bibeltext als Grundlage. Seine Stellung in Genf ist mächtiger geworden, weil er ja geholt worden ist. Aber lange nicht alles kann Calvin durchsetzen. Beispielsweise wollte er jeden Sonntag Abendmahl feiern; es wird aber nur jedes Vierteljahr begangen. Anderes wird eingeführt. So etwa die Kirchenordnung, in der das Konsistorium (das Leitungsgremium der Gemeinde) die Möglichkeit erhält, Gemeindeglieder, die sich eines Vergehens gegen die Lehre oder die Sittlichkeit schuldig gemacht hätten, vorzuladen, zu befragen, gegebenenfalls zu tadeln bis hin zum äußersten Mittel der Exkommunikation. Ziel ist nicht die Überwachung, sondern die Sorge um die Gemeindeglieder und die Gemeinde, obwohl heute diese Praxis sehr problematisch erscheint. (Meistens hatte das Konsistorium damit zu tun, Streitereien zu schlichten.) Dann sorgt Calvin dafür, dass neben den Pastoren weitere Ämter in der Gemeinde eingesetzt werden: Älteste, Diakone und Lehrer. Bestimmte Funktionen braucht die Kirche zum Leben, und dazu gehört die Verkündigung des Evangeliums, der Unterricht, die Leitung und die Diakonie. Miteinander leiten diese Amtsinhaber die Gemeinde. Calvin unterscheidet sich von einem römisch-katholischen sakramentalen Amtsverständnis, nach dem das Amt an die Person und nicht die Gemeinde gebunden ist.
Calvin gründet 1559 die Akademie. Zu ihr kommen in den folgenden Jahren viele aus dem Ausland, die dann in ihrer jeweiligen Heimat zu Reformatoren werden; zu denken ist hier etwa an John Knox, den Reformator Schottlands. Neben der Tätigkeit in Genf ist Calvin auch bemüht, die verschiedenen evangelischen Strömungen zu einen. Hinsichtlich des Abendmahls erzielt er 1549 eine Übereinstimmung mit den Zürchern im sogenannten "Consensus Tigurinus" (Zürcher Konsens): eigentlich ist dort erst so etwas wie das "reformierte Abendmahlsverständnis" entstanden.
Und er arbeitet weiter an seiner Institutio, deren endgültige Fassung 1559 erscheint. Wenn man einmal ganz knapp Calvins Theologie beschreiben wollte, so müsste man auf zwei Pole hinweisen, die sein ganzes Denken durchziehen: Es ist einmal das Heil des Menschen, um das es im Evangelium geht. Und es ist sodann die Herrlichkeit Gottes, die gerade im Evangelium zum Ausdruck kommt. Der Mensch und seine Zukunft und Gott und sein Handeln - beides gehört für Calvin unbedingt zusammen. Damit hat er die Theologie Luthers aufgreifen können, der vor allem das Heil des Menschen betont. Und doch war es Calvin wichtig, die andere Dimension auch stark zu machen, weil es um Gottes freies Handeln geht. Weitere Akzente in der Theologie Calvins, die hier zu erklären zu weit führen, sind z.B.: Die Zusammengehörigkeit von Altem und Neuem Testament; Das Gebot Gottes, welches nicht knechten, sondern den Menschen zum christlichen Leben dienen will; Die Sakramente sind Gottes Verheissung an den Menschen. Die Prädestinationslehre, die manchmal als Zentrallehre Calvins genannt wird, steht bei Calvin nicht im Mittelpunkt; gleichwohl ist sie uns heute zu Recht in dieser Form problematisch.
Ein dunkles Kapitel im Leben Calvins ist aus heutiger Sicht betrachtet der sogenannte Prozess um Michael Servet. Servet ist 1555 in Genf öffentlich verbrannt worden. Es ist zwar nicht richtig, dass Calvin sich mit Hilfe des Rates der Stadt Genf eines unbequemen Gegners entledigt hätte. Aber Calvin hat mitgewirkt an der Verurteilung eines nicht unproblematischen Menschen, der manche für Calvin grundlegenden Aussagen des christlichen Glaubens heftig bestritten hatte. Und Calvin wollte seinen Tod. Verurteilt aber hat ihn der Rat Genfs. Zustimmung zu diesem Akt kam u.a. auch aus Deutschland, etwa vom lutherischen Melanchthon. Von daher ist es kein Verfahren Calvins gegen Servet gewesen. Es spiegelt eher ein aus heutiger Sicht äußerst problematisches Verhalten des Geistes des 16. Jahrhunderts.
Wohl aufgrund seiner zu großen Arbeitsmühe in seinem Leben wird Calvin, der eine Fülle von Krankheiten durchlebt hatte, immer schwächer. Am 2. Februar 1564 hält er seine letzte Vorlesung in der Akademie, am 6. Februar seine letzte Predigt. Am 27. Mai 1564 stirbt Calvin in Genf. Am 28. Mai wird er ohne Pomp beigesetzt und sein Grab erhält auf eigenen Wunsch keinen Grabstein. So weiß heute keiner mehr, wo genau Calvin begraben liegt. Calvin stammt aus Frankreich, und sein ganzes Leben ist auf Frankreich hin ausgerichtet gewesen. Er will die Gemeinden in Frankreich, die unter Verfolgung leiden, stärken. Ihnen zu dienen war sein großes Lebensziel. Er hat es geschafft, die reformierten Kirchen durch eine gemeinsame Lehre und durch die Kirchenordnung zu einen. Aber er stirbt zu früh, um den französischen Gemeinden in den späteren Religionskriegen in Frankreich mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Beeindruckend ist seine Briefkorrespondenz mit ganz Europa, ca. 2000 Briefe sind erhalten. Es finden sich Briefe an politische Führungspersönlichkeiten ebenso wie an andere Reformatoren innerhalb und außerhalb der Eidgenossenschaft. In vielen Briefen geht es um die Situation der Evangelischen in Frankreich, aber auch darüber hinaus. Daneben aber finden sich auch ganz viele Briefe, die den Seelsorger Calvin zeigen, der es versteht, auch einfachen Gemeindegliedern auf ihre Glaubens- und Lebensfragen hin hilfreichen und lebensförderlichen Rat zu geben
Nachfolger Calvins wird Theodor Beza (1519 - 1605), ein Schüler Calvins. Aber er hat auch eigene Akzente gesetzt, etwa mit seiner deutlichen Hereinnahme (aristotelischer) Philosophie in seine Theologie, aber auch durch seine Bibelausgaben und seine Kirchenpolitik vor allem in Frankreich.
Von Genf aus nimmt die gesamte weitere Entwicklung der reformierten Kirche seinen Lauf. Zwar gibt es auch kleinere Außenwirkungen von Zürich und anderen Orten der Deutschschweiz. Aber im wesentlichen prägt die Theologie Calvins, so wie sie in seiner Institutio und der von ihm gegründeten Akademie vermittelt wurden, die reformierten Kirchen und Theologien. Heute gibt es weltweit über 100 Millionen reformierte Christen und Christinnen in fast allen Ländern der Erde. Auch in Deutschland. Die Evangelisch-reformierte Kirche (Synode evangelisch-reformierter Kirchen in Bayern und Nordwestdeutschland) sieht sich in dieser Tradition Zwinglis und Calvin. Ihre besondere Geschichte lesen Sie im Abschnitt: Die Geschichte der "Evangelisch-reformierten Kirche (Synode ev.-ref. Kirchen in Bayern und Nordwestdeutschland)".